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Interview mit Marianne Balmert
Deutsche Patwork Guilde Heft Nr. 128/September 2017

Willkommen an Bord des Quiltexpress. Wir verlassen das Saarland und fahren am Rhein entlang stromabwärts. Die Strecke führt an der Loreley vorbei, die uns heute leider nicht mit ihrem Gesang betört. Lauschen wir umso intensiver den singenden Farben, die Inge Hueber in ihre Quilts einarbeitet. Hier das Interview mit Inge Hueber

Wie kamen Sie zum Handarbeiten?   
Mit 4 Jahren habe ich angefangen, Puppenkleider zu nähen, mit 11 Jahren habe ich den ersten Rock für mich genäht, mit 35 den ersten Quilt, nachdem ich in England Quilts gesehen hatte. Ich kannte nicht einmal das Wort Quillt. Das war 1979 und da bin ich auch Mitglied der Britischen Gilde geworden.

Wie haben Sie dieses Handwerk erlernt? 
Ich bin Autodidakt – learning by doing – trial and error – es war immer lustbetont!

Was bedeutet Ihnen Patchwork? 
Patchwork ist gleichzeitig eine alte textile Technik, aber auch ein Sinnbild, eine Metapher für mein Leben: Alles Stückwerk, welches sich schließlich doch zu einem Ganzen fügt.

Welches ist Ihr Lieblingswerk?
Das kann ich nicht sagen, es sind einige, die mir ans Herz gewachsen sind. 

Worin liegt der Reiz, ständig Neues zu gestalten?
Ich mache nicht ständig etwas Neues, sondern probiere und verbessere und gehe weiter.

Haben Sie ein Vorbild? 
Die Künste und die Künstler dieser Welt, d. h. bekannte Künstlerinnen und Künstler, aber auch „Lebenskünstler“. 

Bevorzugen Sie ein Material/eine Stilrichtung?
Seit 1990 benutze ich nur ein Material, relativ leichte weiße Baumwolle. Diese färbe ich selber ein und schneide sie in Streifen. In einer Arbeit können leicht 50 verschiedene Farbschattierungen enthalten sein. Ein anderes Material habe ich nie benutzt. 

Wie fanden Sie Ihren eigenen Stil? 
Seit 1980 habe ich sehr sehr viel gearbeitet. 10 Jahre später entstand dann eine Arbeit, die mir sehr gut gefallen hat – das war dann mein Stil… erzwingen kann man es sicher nicht.

Arbeiten Sie allein oder in einem Team?
Ich arbeite alleine, habe nie einen Kurs besucht und nie einen Kurs gegeben. Aber ich fühle mich sehr verbunden mit vielen Quiltern aus verschiedenen Ländern. Im Laufe der Jahre habe ich viele Vorträge über meine Arbeit gehalten und hatte so intensive Kontakte. 1985 habe ich in England die Gruppe „Quilt Art“ mitbegründet, als einziges deutsches Mitglied. Seit vielen Jahren bin ich Chairman dieser inzwischen internationalen Gruppe www.quiltart.eu

Haben Sie an internationalen Ausstellungen teilgenommen? 
Es gab viele Beteiligungen im Museum Max Berk in Heidelberg, als Aussteller und Juror. Ich war 7 Mal Teilnehmer von Quilt National USA. Bei Interesse bitte meine Webseite anschauen für weitere Ausstellungen www.ingehueber.de

Welche Preise haben Sie gewonnen? 
1991 Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Dieser Preis wurde in dem Jahr zum ersten Mal an einen Quilter vergeben. 2010 Michael- James-Award in Tokyo für „Sunset Broadstairs“ – Sonnenuntergang in Broadstairs

Wie sieht Ihre Zukunftsperspektive aus? 
Ich möchte solange arbeiten wie es geht.

Kann man Ihre Arbeiten erwerben? 
Ja, meine Arbeiten sind verkäuflich. Meine Quilts sind in vielen privaten Sammlungen vertreten, aber auch in fünf Museen (USA, England, Deutschland). 

Vielen Dank, Inge Hueber, für diesen umfassenden Einblick in Ihre künstlerische Arbeit. Wie war das doch gleich mit den singenden Farben? Im Netz finden Sie unter „Farben singen mit mir“ einen weiteren aufschlussreichen Bericht über den Gesang der Farben, den Inge Hueber in ihren Quilts umsetzt. Einfach Mr. Google fragen. Bis zum nächsten Mal. 

 

Patchworkquilt Seascape
Kunstwerk des Monats Juli 2017
Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Kristine Scherer

In der Kunst des 20. Jahrhunderts spielen Abstraktion und Innovation eine immense Rolle. Dies betrifft auch die Gattung Kunsthandwerk, die vielleicht noch mehr Möglichkeiten als andere Gattungen zum Experimentieren mit neuen Materialien und Techniken bietet. In ihren Anfängen sehr volkstümlich und traditionell, durchliefen und durchlaufen auch Patchworkquilts diese Strömungen. Längst haben sie sich von dem reinen Gebrauchsgegenstand einer dekorativen Decke losgelöst, um als (Kunst)Objekt für die Wand das Auge zu erfreuen. Waren antike Quilts wie z.B. die der Mennoniten oder Amish People noch von namensgebenden Mustern wie Dresdner Teller, Blockhütte, Bärentatze, Blumenkorb etc. geprägt, befassen sich moderne Quilts mit einem ganz breitgefächerten Themenspektrum: Politische Themen wie Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme oder persönliche Befindlichkeiten gehören ebenso zu diesen Themen wie Natureindrücke und Landschaftsimpressionen. Einige Quilterinnen – zu 99% ist die Herstellung von Patchworkquilts eine weibliche Domäne – konzentrieren sich jedoch hauptsächlich auf das Spiel von Farben und Formen und den stofflichen Charakter. Einen Mittelweg zwischen den beiden letztgenannten Richtungen nimmt Inge Hueber mit ihren jüngsten Arbeiten ein. 

Aus selbstgefärbten Baumwollstoffen in ungezählten Farbvariationen kreiert sie in selbst entwickelter Technik Quilts über Sonne und Meer, Wasser und Licht. Ihre Inspirationsquelle hierfür ist seit einigen Jahren das Städtchen Broadstairs im Süden Englands, wo sie mit ihrem Mann regelmäßig einige Wochen im Jahr verbringt. 

Seascape, 2015, 130 x 200 cm

1980 begegnete die ausgebildete Lehrerin der Kunst des Patchworks in einem Buch über Amish-Quilts und verlagerte, davon tief beeindruckt, danach ihre eigene künstlerische Tätigkeit vom Malen auf das Quilten. Auf Literatur oder Gleichgesinnte konnte sie dabei kaum zurückgreifen, denn die Szene etablierte sich in Deutschland erst Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Erste traditionelle Arbeiten ließ sie daher rasch hinter sich, um bald eigene Entwürfe in einer eigenständigen freien Technik umzusetzen. Eine erste große Werkgruppe stellten die von Inge Hueber so bezeichneten ‚mathematischen‘ Quilts dar, die in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Roland etwa zwischen 1984 und 1990 entstanden: exakt konzipierte, technisch perfekt umgesetzte geometrische Entwürfe wie Hidden Circle (1988) oder Spiegelbild (1987). Das sichtbare Quilting, meist noch per Hand, war bei dieser Serie als weiteres grafisches Element unabdingbar. Ihr eigenes Farbenspektrum – helle, leuchtende, ausdrucksstarke Farben – hatte sie damals schon entwickelt und seitdem beibehalten, ebenso das große Format. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: 1984 war sie mit einer Arbeit bei der gerade gegründeten deutschen Quilt-Biennale im Textilmuseum in Heidelberg vertreten, kurz darauf beim Quiltfestival in Houston, bei der Quilters Guild in England und Quilt National in den USA. Bereits 1985 gründete sie zusammen mit Pauline Burbidge und Michelle Walker, zwei Urgesteinen der Patchworkkunst, die internationale Gruppe Quilt Art, die bis heute zu den bedeutendsten Gruppen vor allem Europas gehört, und deren einziges deutsches Mitglied Inge Hueber ist. 

Broadstairs, Kent, UK

Um 1990 entwickelte sie die bereits verwendete sogenannte Seminoletechnik, bei der Stoffstreifen zusammengefügt, dann wieder zerschnitten und neu zusammengefügt wer- den, weiter; spielte auf dem Boden ihres Ateliers sitzend mit ihren selbst gefärbten Stoffen, bis „… die Arbeit zu mir spricht und ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“ (Zitat Inge Hueber). Mit der Arbeit „Rainbow“ kehrte sie erstmals die Rückseite nach vorne, so dass die ungesäumten Kanten der einzelnen Stoffstücke zu sehen waren; die Nahtzugabe wurde dabei zum strukturgebenden Gestaltungs-element. Dieser Schritt hin zum bewusst „Unordentlichen“ bedeutete für die sehr akkurat und penibel arbeitende Quilterin zunächst eine große Überwindung. Schon eine der ersten Arbeiten dieser neuen Serie (Blau – Grün – Gelb, 1991) wurde mit dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet und befindet sich heute im Museum für Angewandte Kunst in Köln. 

Zielstrebig verfolgt Inge Hueber seitdem ihren Weg in dieser neuen Technik, ohne dass ihre Arbeiten dadurch an Reiz verlieren. Senkrechte Streifen aus zusammengenähten Parallelogrammen – in einem Streifen nach rechts aufsteigend, im Folgenden nach rechts abfallend – werden nebeneinander genäht und nur jede zweite Naht verdeckt gequiltet. Dadurch entsteht ein plastisches Textilrelief, dessen Gesamteindruck sich zudem durch den sensiblen, aber streng kalkulierten Farbeinsatz je nach Standpunkt des Betrachters verändert. Es entstehen so unnachahmliche, rein textil gestaltete Objekte, die eine fast meditative Ruhe, vor allem aber Heiterkeit und Lebensfreude ausstrahlen. 

Inge Hueber zählt aber nicht nur zu den wichtigsten europäischen Quilterinnen seit Anbeginn, sondern auch zu den bedeutendsten Motoren der europäischen Quilt-Bewegung. Ihrem stetigen Engagement und ihrer gelebten Begeisterung für das Medium Quilt ist es zu verdanken, dass sich die von der Textilsammlung Max Berk ausgelobte deutsche Quilt-Biennale im Jahr 2000 europaweit öffnete und mittlerweile einen außerordentlichen Ruf genießt, nicht nur in Europa. Inge Hueber lebt und arbeitet in Köln und Broadstairs/Kent. >> Download pdf

 

Inge Hueber – Farbenklänge aus Baumwolle
MAKK Cologne – Overstolzengesellschaft 2016

Dr. Patricia Brattig, Kuratorin

Nach der Lektüre eines Buches über Amishquilts entschied sich Inge Hueber 1980, selbst freischaffende Quiltkünstlerin zu werden. Zunächst nähte sie bis 1983 Quilts nach traditionellen Mustern von Hand, entschied sich aber dann für die Verwirklichung eigener künstlerischer Entwürfe. Die überaus talentierte Autodidaktin, 1943 im Mecklenburgischen Wismar geboren, entwickelte für die selbstgefärbten Baumwollstoffe, die sie für ihre Arbeit verwendet, eine individuelle Palette. Die vielfältigen Farbtöne vereinen sich zu dynamischen Kompositionen aus bewegten Asymmetrien und freien Figurationen. Die Künstlerin blickt nach nunmehr über 30 Jahren auf ein eigenwilliges, reichhaltiges und mehrfach ausgezeichnetes Œuvre zurück.

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Blau Grün Gelb Detail

Im Jahre 1991 erhielt Inge Hueber für den Wandbehang „Blau-Grün-Gelb“ (175 x 220 cm) im Werkbereich Textil den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Jury war beeindruckt von dem abgestuften Farbenspiel der Längs- und Diagonalstreifen sowie von der Reliefbildung der plastisch hervortretenden Oberfläche. Ein Jahr zuvor war Inge Hueber mit der Arbeit „Rainbow“ zum ersten Mal der Eingebung gefolgt, die Rückseite der Patchwork-Arbeit nach vorne zu kehren. Während des Schaffensprozesses wurde ihr bewusst, dass diese normalerweise abgefütterte Seite mit den offenen Nahtzugaben und den sichtbar herabhängenden Fäden einen ganz eigentümlichen dreidimensionalen Reiz ausübt, den sie der Betrachtung nicht entziehen wollte.
Auch „Blau-Grün-Gelb“ gehört zu diesen von innen nach außen gekehrten Quilts, die in der so genannten Seminole- oder Streifentechnik angefertigt wurden, wobei verschiedenfarbige Streifen aneinandergenäht, zerschnitten und gegeneinander verschoben wieder zusammengefügt werden. „Blau-Grün-Gelb“ wurde mehrfach auf Einzelausstellungen in Museen und Galerien ausgestellt, stand aber nie zum Verkauf. 2015 beteiligte sich Inge Hueber mit dem Wandbehang „Doppelsicht“ erneut an dem Wettbewerb um die begehrten Staatspreise des Landes Nordrhein-Westfalen, der in der Ausstellung „MANU FACTUM – handgemacht“ im MAKK zu bewundern war. Damals beschloss sie, die 24 Jahre zuvor mit dem Staatspreis ausgezeichnete Arbeit dem Kölner Museum zu schenken. Die großzügige Geste schließt eine empfindliche Lücke in der Textilsammlung des MAKK, in der bislang kein einziges Werk dieser bedeutenden, international anerkannten und in Köln lebenden Künstlerin vertreten war. Die Schenkung wurde aber erst Mitte April 2016 mit der Abholung des Behangs tatsächlich vollzogen. Inge Hueber hatte ihn für einige Monate in ihrem Wohnzimmer an die Wand gehängt, um sich an ihm zu erfreuen und sich von ihm zu verabschieden.  >> Download pdf 

 

Farben singen mit mir

by Dr. Susanne Dohm, 2014

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Zur Retrospektive der Quiltkünstlerin Inge Hueber im Textilmuseum Max Berk “Farbenklang” 3.3. bis 13.10.2013

von Gabi Mett
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Retrospektive_inge_titel_th„Seit dem Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit will ich keine Erinnerungen und Meinungen zum Ausdruck bringen, sondern Emotionen und Wünsche, immer auf der Suche nach Glück.“ (Zitat Inge Hueber) 

Diese Suche nach Glück währt nun bereits 30 Jahre. Diese Suche nach Glück hat dazu geführt, das nicht nur herausragende Werke entstanden sind, sondern auch ein Wirken für die Quiltkunst weltweit. 

Als Startpunkt gilt für Inge Hueber das Jahr 1980. In diesem Jahr nimmt sie nach 15 Jahren Abschied von ihrem Beruf als Lehrerin in Köln und entscheidet sich, Quiltkünstlerin zu werden. Ein Buch über Amishquilts ist der Auslöser, der den Hebel umstellt. Sie näht bis 1983 Quilts nach klassischem Muster und beginnt dann, nach eigenen Entwürfen zu arbeiten. Dazu gehört auch und sehr schnell die Entscheidung, Stoffe selbst zu färben, was zu diesem Zeitpunkt noch sehr außergewöhnlich ist. Die Technik des Patchworknähens und Quiltens eignet sie sich selbst an. Viele Möglichkeiten zum Austausch gibt es in den Anfangsjahren des Quiltgeschehens in Deutschland nicht und Amerika ist weit weg. 

Sie entwickelt ihre Kunst in einem Vakuum. Das wird für die eigene Bildsprache von Bedeutung. Sie ist unabhängig von Traditionen, kann sich nach ihren eigenen Regeln und Ideen entwickeln und macht damit eine rasante Entwicklung durch. 1984 wird ein Quilt für die erste Quiltbiennale in Heidelberg ausgewählt. Im selben Jahr sieht man sie auf der Art Cologne in Köln. Es folgt 1985 die Präsentation auf dem internationalen Quiltfestival in Houston, 1986 gibt es eine erste Einzelausstellung. 1987 stellt sie bei der Quiltersguild in London aus, zum ersten Mal wird sie auch bei Quilt National in Ohio in den USA vertreten sein und auf der Triennale des Kunsthandwerks in Frankfurt. Sie nimmt die Sache ernst, schafft nicht nur außergewöhnliche Quilts, sondern kümmert sich auch um Wettbewerbe, Ausstellungsmöglichkeiten und angemessene Präsentationen. Sie bleibt dabei nicht in Deutschland, sondern erobert sich im Sturm die internationale Quiltwelt. Von Zaghaftigkeit keine Spur, sondern Zeichen eines starken Willens, von viel Selbstvertrauen und Professionalität. 

Diese ersten Jahre erscheinen wie die Entfaltung einer Blüte im Zeitraffer. Es bewegt und entwickelt sich alles gleichzeitig mit ungeheurer Wucht. Ein Blick über die weiteren 25 Jahre zeigt das Potential, das sich Bahn gebrochen hat und bis heute wirkt: 

1991 erhält sie den Staatspreis von Nordrhein-Westfalen im Bereich Textil, sie wird in fast alle Quiltbiennalen und -triennalen in Heidelberg ausgewählt, ebenfalls zu den Ausschreibungen des European Art Quilt, nimmt sechsmal bei Quilt National teil und stellt in Japan, Australien, Canada, Neuseeland, USA und Europa aus. 

2010 werden ihre Werke an verschiedenen Orten in Japan gezeigt und dort erhält sie auf der Veranstaltung Quilt Nihon Exhibition den Ehrenpreis, den sogenannten Michael James Award, dessen Preisträgerin von Michael James persönlich aus- gewählt wird. Ihre Arbeiten sind in öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden. Erwähnt sei hier die Aufnahme in die Sammlung des Textilmuseums Max Berk in Heidelberg, in die Sammlung der Universität von Liverpool, und in die Sammlung des Museum of art and design in New York. Wie groß muss die Begeisterung, die Freude und die kreative Potenz sein, um einen solchen Weg zu gehen und auf dem hohem Niveau über Jahrzehnte zu bleiben? 

Betrachten wir ihre Arbeiten, denn sie sind der Ursprung für die zuvor aufgezählten Erfolge. 

Die Quilts von 1984 bis 1990 werden von Inge Hueber als die mathematischen bezeichnet. Für diese Arbei- ten, zu denen z. B. der Hidden circle gehört, ist ein Konzept erforderlich. Alles muss stimmen, alle Teile der Patchworkarbeit auf den Punkt zusammen- passen, sonst wird die Arbeit unglaubwürdig. Die Farben müssen richtig gesetzt werden, um die ge- wünschten Effekte zu erzielen. Und auch die Quiltlinien dürfen nicht nur dem Zusammenhalt der drei Lagen dienen, sondern müssen die Gesamtgestaltung unterstützen und ergänzen. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, muss die Arbeit in großen Dimensionen gedacht und ausgeführt werden. Es ist also in jeder Beziehung technisches, gestalterisches und handwerkliches Können von Nöten. Dies wird von der Künstlerin mit Bravour gemeistert und im Lauf der Jahre perfektioniert. In diesen ersten Arbeiten sind auch schon neben dem Crazypatchwork die Streifen zu entdecken, die ihr Werk mehr und mehr bestimmen sollen. 

1990 ist diese mathematische Serie, die sie gemeinsam mit ihrem Mann entwickelt hat, beendet. Es entstehen von nun an Quilts, in denen die sogenannte Seminole- und Streifentechnik angewandt wird. Eine kleine oder größere Fläche wird aus Streifen zusammengesetzt, nach einer bestimmten Ordnung zerschnitten und wieder neu zusammengesetzt. Diese Technik erfordert nicht den detaillierten Plan und Entwurf. Sie lässt Inge Hueber die Möglichkeit, spielerischer mit ihren selbst gefärbten Stoffen zu arbeiten. Sie kann Farbklänge zusammenstellen, untereinander mischen, Verläufe erarbeiten, kräftige gegen reduzierte Farben stellen. Sie kann so lange damit spielen, bis, wie sie selber sagt, „die Arbeit zu mir spricht und ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin“. Die Freude an der Farbe kann nun wesentlich intensiver ausgelebt werden. 

Work in progress

Um die Wirkung der Farben zu gewährleisten, muss auch hier wieder im großen Format gearbeitet werden, wiederum ist nach dem Spiel präzises Arbeiten, sprich handwerkliches Können angesagt und auch das Quilten muss neu überdacht und eingesetzt werden. 1990 überrascht sie mit einer Arbeit, die die Quiltwelt auf den Kopf stellt, besser gesagt, die das Innere nach außen kehrt. Gegen alle Konventionen sind in der Arbeit Rainbow, auf der Quiltbiennale in Heidelberg zum ersten mal gezeigt und später in die Sammlung des Museums of Art and Design auf- genommen, die offenen Nahtzugaben zu sehen. Was für eine geniale Idee. Das Textile wird noch textiler. Das Spiel mit Licht und Schatten wird nicht mehr nur durch das Quilten ausgearbeitet. Kein Maler wäre imstande, eine solch vibrierende Oberfläche zu erzielen. Selbst die Nuancierungen der Farben scheinen durch diesen Handstreich noch mehr Intensität zu bekommen. Inge Hueber erforscht dieses Gestaltungselement immer weiter. Mal werden die Flächen im rechten Winkel, mal im spitzen oder stumpfen Winkel zerschnitten und mit einer weiteren Farbfläche Reihe für Reihe im Wechsel neu zusammengesetzt. Immer ist das Ergebnis überraschend und anders als das vorhergehende. Die Streifen bilden Streifen, sie bilden Blöcke, sie laufen über den gesamtem Quilt, sie scheinen wie verwoben, lassen sich kaum noch von- einander trennen, bilden eine Einheit. Waagrechte und Senkrechte stehen in einem Wechselspiel, die Diagonale wird gekonnt eingesetzt. Das Spiel der Far- ben tut ein übriges dazu. Farben fließen ineinander, täuschen den Betrachter, wenn er meint, das System erkannt zu haben, das hinter allem steckt. Farben verlieren sich, treten nur noch als einzelne Punkte auf wie in der Ikatserie, dann explodierten sie auf ein neues und finden zu Ninepatchvariationen, werden wieder verhaltener in Moving stripes oder entwickeln sich zu solch poetischen Ausdrucksformen wie im Quilt Sea and sun Broadstairs Kent, der den Michael James Award erhielt. In den Quilts der Künstlerin findet man nur wenig dunkle Farben, Schwarz ist völlig ausgeschlossen. Lebendig, strahlend, voller Energie und klar stehen die Farben für sich. 

Damit aber noch nicht genug. Die Oberfläche wird weiter differenziert, Streifen und Blöcke durch eingesetzte Streifen verbunden und dadurch fast unmerklich voneinander getrennt. Jedes Element steht für sich und ist doch in der Gesamtfläche eingebunden. 2004 erklärt Inge Hueber in einer Ninepatchvariation die Luft zur Füllung eines transparenten Quilts, der farbige Baumwollstreifen mit Baumwollorganza kombiniert. Nachdem das Innen zum Aussen wurde, ist nun das Vorne und Hinten optisch zu einer Einheit verschmolzen. 

Der Einsatz des Quiltens, in den ersten Jahren von Hand durchgeführt und in den mathematischen Quilts noch deutlich zu sehen, wird neben Streifen und Farbe zum dritten wichtigen Gestaltungselement. Auch wenn die Quiltlinien in den Nähten verschwinden, sind sie unabdingbar für die Relief- bildung dieser großen Farb- und Formflächen. Es lohnt sich, die Quilts nicht nur von vorne zu be- trachten, sondern an ihnen vor- beizugehen, sie von der Seite anzuschauen und die Veränderung der Farbwirkung zu beobachten, die durch diese flachen Reliefs entstehen. 

Würde man jeden Quilt dieser Künstlerin analysieren, den Farbaufbau betrachten, das Spiel der Streifen und kleinsten Elemente, der Einsatz des Quiltens, würden wir über die Vielfalt der entwickel- ten Varianten staunen. Es scheint jedoch fast nicht möglich, die einzelnen Aspekte und Ausdrucksmittel der Arbeiten zu separieren. Alles, Gestaltung, Spiel, Technik, Handwerk, Material, Emotion und Gefühl bilden eine untrennbare Einheit. Das ist das Faszinierende. Alles ist an seinem Platz, alles dient dem Gesamtausdruck und wird diesem auch gerecht. Es sind Meisterwerke, die den Betrachter sehr ansprechen, Gefühle und Emotionen wecken, mal Nachdenklichkeit, mal Fröhlichkeit oder Freude, mal Ruhe und Stille. 

Die klaren Entscheidungen, die schon zu Beginn ihres künstlerischen Weges sehr deutlich wurden, lassen sich auch an ihrem weiteren Werk ablesen: 

  • Im Mittelpunkt steht das große Format.
  • Es werden ausschließlich selbst gefärbte Baumwollstoffe benutzt. 
  • die Entscheidung, mit der Seminoletechnik zu arbeiten, wird bis heute konsequent durchgehalten. 
  • Es wird mit einer sehr persönlichen Farbskala gearbeitet. 
  • Gequiltet wird unsichtbar, von Hand oder mit Maschine. 

Dieser Weg wird nicht verlassen. Keine neuen Materialien, keine neue Techniken, absolut textil, absolut dem traditionellen Quilt verbunden, auch wenn sie selbst sagt, dass sie auf Traditionen keine Rücksicht nehmen musste, weil es in Deutschland keine gab. Es sind keine Bilder auf Stoff, sondern Bilder aus Stoff. 

Diese Konsequenz zeigt sich auch in einer anderen Weise: im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Angebot an Ausschreibungen und Wettbewerben vervielfacht. Inge Huebers Arbeiten sind aber nur in den wirklich wichtigen Ausschreibungen zu finden. Sie ist auch hier nur Hauptwege und keine Nebenwege gegangen und hat sich so ein wenig sperrig dem Mainstream entzogen. 

Nun ist es jeder Künstlerin gegeben, sich einzig und allein auf ihre Arbeit zu konzentrieren und diese weiterzuentwickeln. Inge Huber wollte mehr. Sie hatte die Idee, dieser speziellen Kunstform eine breitere Anerkennung schaffen zu können. Nicht nur, dass sie 1985 die deutsche Patchworkgilde mit gegründet hat, die Gründung der Gruppe Quiltart in England, die erste Gruppe dieser Art überhaupt, lag neben Pauline Burbidge und Michelle Walker mit in ihren Händen. Sie ist die einzige, die heute noch als Gründungsmitglied dabei ist. „Durch Quiltart habe ich ein neues Land und eine neue Sprache entdeckt.“ Es entstehen Kontakte, es bilden sich Netzwerke Es führt dazu, dass sie sich mit Projekten auseinandersetzt, die nicht so ohne weiteres in ihrem Wirkungsbereich liegen z. B. das kleine Format oder der Quilt in der dritten Dimension. Immer bleibt sie ihrer Arbeits- weise treu, denkt aber gleichzeitig über die traditionellen Grenzen hinweg. Mit dieser Gruppe finden wir eine weitere Konstante in ihrem Quiltkunstleben. 

Gewirkt hat sie aber noch auf andere Art und Weise. Sie hat ihr Können und Wissen nicht in Workshops weitergegeben, aber weltweit Vorträge gehalten. In den Anfangsjahren hat sie nicht nur sich, sondern auch andere wichtige Quiltkünstlerinnen vorgestellt. Mit der Zeit und der eigenen künstlerischen Entwicklung wurden es mehr und mehr Vorträge über ihre Arbeitsweise, ihre Ideen, ihre Arbeiten. Auf diese Weise konnte sie ausserdem wunderbar ihrer Liebe zum Reisen frönen und gleichzeitig Kontakte in alle Welt schaffen. 

In den letzten Jahren hat sie sich noch dadurch hervorgetan, dass sie in Zusammenarbeit mit dem Textilmuseum Max Berk die Quilttriennale auf den Weg nach England gebracht hat, was eine rege Beteiligung britischer Künstlerinnen zur Folge hatte. Zweimal war sie ebenfalls in der Jury tätig. 

Die Ausstellung zeigte an die 30 Arbeiten aus den vergangenen 30 Jahren. Die Werke sprechen für sich. Sie zeigen eine Künstlerin, die zur klassischen Moderne der internationalen Quiltkunst zu zählen ist und hoffentlich auch in Zukunft weiter arbeiten und wirken wird.  



FarbenKlang ­– Retrospektive Inge Hueber 1980-2013

Pressemitteilung

Inge Hueber lebt und arbeitet in Köln und ist eine Pionierin der deutschen und internationalen zeitgenössischen Quilt-Szene. 1984 war sie Teilnehmerin der 1. Quilt-Biennale des Textilmuseums Max Berk und hat in der Folge bei zahlreichen weiteren deutschen Quilt-Biennalen und Europäischen Quilt-Triennalen ausgestellt. In den USA, der Hochburg der Quilt-Bewegung, war sie bereits 1987 mit ihrem Quilt “Reflected Image/Spiegelbild” bei Quilt National vertreten.

Die Autodidaktin verbindet präzises Handwerk mit emotionalen Farbklängen, sie findet eigene Rhythmen und erspürt textile Strukturen. Von Anfang an verarbeitet sie ausschließlich ihre selbstgefärbten Baumwollstoffe, die ihre Farbpalette unverwechselbar machen. Im Jahre 1991 erhielt sie den Staatspreis des Landes NRW für eine ihrer ersten Arbeiten mit sichtbaren Nähten und offenen Säumen. 2008 hat sie diese Technik wiederaufgenommen und ihre “seascape” Serie entwickelt – eine Hommage an den kleinen Ort Broadstairs an der englischen Kanalküste, ihr zweiter Wohnsitz seit 1978. Inge Hueber ist eng verbunden mit der englischen Quilt-Szene, vor allem durch die Gruppe Quilt Art, die sie 1985 zusammen mit sieben englischen Quiltern gründete.

Die Ausstellung FarbenKlang zeigt mehr als 30 Arbeiten und ist ein Querschnitt aller Serien, die in mehr als drei Jahrzehnten entstanden sind.